Feedback und Feedback-Mythen

Feedback sollte kein „Vorwurf“ sein, so liest man oft. Meist wird in diesem Kontext folgendes www-Vorgehen beim Feedback vorgeschlagen:

  1. Wahrnehmung – Was habe ich an Verhalten beobachtet?
  2. Wirkung – Welche Wirkung hat dies auf mich?
  3. Wunsch – Was wünsche ich mir vom Gegenüber.

Damit, so die Idee, sei man mit dem Feedback „bei sich“ und würde nicht sein Gegenüber angreifen.

Ich halte von diesem Vorgehen nichts. Selbst, wenn man es „richtig“ macht, was auch oft genug nicht vorkommt. Ein Beispiel:

„Ich beobachte, dass Du zu unseren Dailies immer 5 Minuten zu spät bist. Das wirkt auf mich, als würdest Du meine Zeit nicht schätzen. Ich wünsche mir, dass Du in Zukunft pünktlich bis.“

Obiges Beispiel entspricht sogar halbwegs dem www-Schema, allerdings gibt es einen großen Fehler: Der Wunsch bezieht sich auf das beobachtete Verhalten, nicht auf die Wirkung. Wenn ich mein Feedback so verpacke, dann hat die „Wirkung“ einzig den Zweck, ein weiterer Vorwurf und eine „Waffe“ zu sein. Davon abgesehen hat das Gegenüber keine „Handlungsoptionen“. Zu guter letzt ist da das kleine Wörtchen „immer“ in der Beobachtung, das immer veralgemeinert und nie richtig ist. 😉 Nächster Versuch:

„Ich beobachte, dass Du zu unseren Dailies bisher 5 Minuten zu spät gekommen bist. Das wirkt auf mich, als würdest Du meine Zeit nicht schätzen. Ich wünsche mir, dass ich das Gefühl habe, dass Du meine Zeit in den Meetings wertschätzt.“

Das ist schon etwas besser. Zumindest hat der Angesprochene nun Optionen. Er könnte vorschlagen, das Meeting später anzusetzen, da er zur bisherigen Zeit gar nicht kann. In der ersten Variante hatte er diese Möglichkeit nicht, da der Wunsch schon fast zu spezifisch war.

Noch besser gefällt es mir aber, wenn man im Gespräch den Wunsch gar nicht formuliert, sondern eine Frage anschließen kann. (Was sicher nicht immer möglich ist, aber ich gehe gerade von einem ansonsten eigentlich funktionierenden Teamgefüge aus.)

„Ich beobachte, dass Du zu unseren Dailies bisher 5 Minuten zu spät gekommen bist. Das wirkt auf mich, als würdest Du meine Zeit nicht schätzen.Wie siehst Du das?“

Manch einer mag nun einwenden, dass man „Feedback doch auch annehmen solle“ und dass so wie in diesem Beispiel eine „Rechtfertigung“ ausgelöst würde. Um ehrlich zu sein, das entspricht gar nicht meinem Menschenbild. Zunächst: Eine Erklärung ist keine Rechtfertigung. Außerdem: Man muss nicht jedes Feedback annehmen.

Die letzte Variante würde es beispielsweise erlauben, dass der Angesprochene eine Erklärung abgeben kann – eventuell kann er zeitlich das Daily gar nicht schaffen. Er kann auch darauf eingehen, dass er die Wirkung gar nicht intendiert habe und so den Feedbackgeber eventuell „entlasten“, da dessen Bedürfnisse ernst genommen werden. Kurz, man gibt so die Möglichkeit, dass gemeinsam an der Wirkung gearbeitet werden kann, anstatt dass ein Symptom, eventuell zu aller Unzufriedenheit, behoben wird.