Entschieden entscheiden – egal wer da ist

In „klassischen“ Organisationsstrukturen ist die Frage, wer entscheiden darf, oft recht eindeutig geregelt: Der Chef bestimmt. Und wenn es keine hierarchische Chef-Rolle gibt, dann oft eine fachliche Führung, die entscheidet und die Verantwortung für die Entscheidungen trägt oder zumindest tragen sollte.

Beim Wechsel hin zu einer agileren Organisation beobachte ich oft, dass Teams für sich einen Weg suchen, wie Entscheidungen im Team gemeinschaftlich getroffen werden können. Mehrere Methoden stehen dabei oft zur Diskussion:

  • Mehrheitsentscheid
  • Konsenzverfahren
  • Widerstandsmessung
  • Konsentverfahren

Sicher gibt es nicht die eine Methode, die immer und für alle am besten funktioniert. Aber ich möchte an dieser Stelle aus einem bestimmten Grund die Lanze für das Konsentverfahren brechen:

Gut abgestimmte Teams müssen beim Konsentverfahren keine Beschlussfähigkeit feststellen und sie sind jederzeit flexibel, Entscheidungen zu treffen.

Der erste Reflex vieler Teams für eine Entscheidungsfindung ist oft ein Mehrheitsentscheid. In der Diskussion wird dann aber schnell deutlich, dass zu besprechen ist, wie viele aus dem Team anwesend sein müssen, um eine Entscheidung überhaupt treffen zu können oder ob anstehende Entscheidungen gar im Vorfeld (Agenda) angekündigt werden müssen, um eine Beschlussfähigkeit zu haben. Meiner Meinung nach ist das bei einem Konsentverfahren gar nicht nötig.

Ein Konstentverfahren beschreibe ich so: Steht eine Entscheidung an, so können alle Teammitglieder entweder ihre Zustimmung ausdrücken (Daumen hoch), eine Entscheidung des Teams mittragen (Daumen seitlich) oder gegen die Entscheidung stimmen (Daumen runter). Letzteres ist aber nur mit einem „qualifizierten Einwand“ möglich, also einem Vorschlag, wie der Widerspruch aufgelöst werden kann. Ein solcher Einwand kann auch sein „das können wir nur unter Einbeziehung einer weiteren Person entscheiden“.

Ein Beispiel: Ein Team möchte über eine Änderung der Softwarearchitektur entscheiden, beispielsweise, ob bestimmte Funktionalitäten aus einem Monolithen herausgezogen und in Microservices migriert werden sollen. Bei der Entscheidung darüber kommt es zu einem Widerspruch mit der Begründung „Heute ist Sarah nicht da, die am meisten Erfahrung mit Microservices hat, wir sollten sie auf jeden Fall in die Entscheidung einbeziehen, wenn sie morgen wieder da ist.“

Der Vorteil dessen ist, dass man eine Entscheidung nicht von einem bestimmten Quorum abhängig macht, sondern von der Entscheidungskompetenz der Teammitglieder. Es würde in diesem Beispiel nichts bringen, wenn aus dem Team alle Frontend-Entwickler anwesend wären, die kaum Aussagen zu Microservices machen können.

Voraussetzung, damit dies funktioniert, ist allerdings eine gewisse Teamreife. Nur, wenn man die Fähigkeiten der anderen im Team einschätzen kann, ist ein solcher Widerspruch überhaupt nötig. Aber dann ist das Verfahren meiner Meinung nach besser geeignet, als ein Quorum, das eventuell am Ziel vorbei geht oder eine Verpflichtung zur Vorveröffentlichung, was die Flexibilität sehr einschränken kann.

Kurz gesagt: Nutzt das Konsentverfahren ohne Quorum. Erst, wenn das nicht greift, sollten meiner Meinung nach andere Entscheidungsverfahren genutzt werden.